Gut, das es die Kirchenbucheintragungen gibt, denn es würde heute fast niemand mehr wissen, dass vor über 100 Jahren in Alstätte eine Blaufärberwerkstatt existierte. Nichts erinnert mehr an den Mann mit seinen immer blauen Händen und seinem blauen Handwerk. Geboren wurde Johann Lambert in Bocholt als 13. von 16 Kindern des Gastwirtes Gerhard Joseph Florack und Maria Terwoord am 14.04.1822 und wuchs mit elf Geschwistern im damals engbebauten Bocholt, in der neuen Klucht 342 auf. (Ein Teil der ehemaligen Stadteinteilung, worauf sich u.a. die heutige Neustraße und Neutor [Arkaden] beziehen).

Der Hof Florack an der Friedhofstrasse um 1910 aus der Sicht vom heutigen Freibad aus, links die ehemalige Möbelfabrik van Weyk. Charakteristisch für das Gebäude waren zwei „Niendören“ zur Straße hin, an der sieh heute noch viele erinnern können
Einiges deutet darauf hin, dass Johann sein Handwerk in der Blaufärberei seines Großonkels Henrich Cock erlernte, und auch diesen Betrieb in Alstätte weiterführte. Ein noch gültiger Erlass Napoleons machte es möglich einen Handwerksbetrieb auch ohne Meistertitel zu führen. In der Zeit als junger Blaufärbergeselle wohnte Johann 1840 nicht mehr zu Hause, und war auch in keinem Bocholter Färberbetrieb in „Kost und Logis“, was Wanderjahre nicht unbedingt ausschließt. Elternlos heiratete er, seine Mutter starb als er acht Jahre alt war, an seinem 28.Geburtstag, am 14.4.1850 die 22-jährige Schuhmacherstochter Maria Gesina Gerwing (Rufname Gesina) aus Alstätte.
Aus dieser Ehe gingen acht Kinder hervor, wovon zwei schon im Kindesalter verstarben. Johann hatte sein Anwesen mit Werkstatt und kleiner Landwirtschaft im (Alstätter) Dorf 73, in der heutigen Alstätter Friedhofstraße, im jetzt noch bestehenden, vom Brand 1978 verschonten Teil des Hauses. Bei Umbauarbeiten Mitte/ Ende der 1950iger Jahre in dem Haus sind Reste von dem im Boden eingelassenen Färberbrunnen gefunden worden. Es waren zwei viereckige Brunnen. Nahezu jeder Ort hatte seinen Färber. Die Färbereien waren wegen des strengen Geruches meistens am Ortsrand und in der Nähe von Flüssen ansässig, was auch hier zutrifft. Die Färbung selber war ein hochkomplexer, chemischer Vorgang, und die Zutaten für die Färbung ein gut gehütetes Betriebsgeheimnis. Gearbeitet wurde damals überwiegend als Lohnarbeit, wobei das von der ländlichen Bevölkerung selbst gefertigte Leinen gefärbt wurde, das später hauptsächlich für Kleidung des ländlichen Bedarfs verarbeitet werden konnte. Zu dieser Zeit war es üblich, von Dienstag bis zum Wochenende die Stoffbahnen mit dem grünlichen „Papp“ mit Hilfe der „Modeln“ zu bedrucken, und am Montag wurde „Blau gemacht“. Das heißt, dass der eigentliche Färbevorgang durchgeführt wurde wobei die an den Färbersternen aufgehängten Leinenbahnen nach mehr wöchiger Trocknung auf dem Dachboden nun mehrmals in die Färberbrunnen eingetaucht werden mussten. Jeder Blaufärber hatte seine eigene Rezeptur, die nur von Vater auf den Sohn, früher meistens mündlich, weitergegeben wurde. Es existieren keine schriftlichen Unterlagen bezüglich der Blaufärberei Florack, auch nichts, was die Herstellung des Papp’s oder der Küpe in den Färberbrunnen beschreibt. („Färbergeheimnis“). Was mag Johann damals in das wirtschaftlich eher unbedeutende, nur einige hundert Einwohner zählende Weberdorf Alstätte (1851 waren es in Dorf und Kirchspiel [Bauernschaften] 1750 Katholiken) geführt haben? Höchstwahrscheinlich ist, dass familiäre Beziehungen dazu beitrugen, denn zwei Geschwister hatten nach Heek geheiratet, ein jüngerer Bruder später ebenfalls. Grundsätzlich vorstellbar ist auch die Vermittlung durch Tuch- oder Leinen- Wanderhändler, die durchaus lohnende Einkünfte vermitteln konnten. In der „Populationsliste“ aus Alstätte des Jahres 1806, sowie der „Konskriptionsliste“ von 1807 in der auch die Berufsbezeichnungen genannt werden, befindet sich kein Färber, dessen Betrieb Johann weitergeführt haben könnte.
Die Stadt Bocholt hatte laut Einwohnerliste des Jahres 1830 sechs Färberbetriebe, von denen 1840 drei nicht mehr existierten. Darunter die Färberei des Henrich Cock, in der Neuen Klucht, Hausnummer 205, der mit Elisabeth Sommers, Johanns Großtante verheiratet war. Möglicherweise hat Johann diesen Betrieb, wie schon erwähnt, in Alstätte neu aufgebaut. Ein Produktionszeitraum seines Betriebes lässt sich anhand der Alstätter Kirchenbucheintragungen auf ca. 45 Jahren relativ gut eingrenzen: Den Beginn in der Zeit zwischen 1848 – 1850 aufgrund seiner Heirat in Alstätte, die Produktionseinstellung des Blaufärberbetriebes in etwa zwischen 1892 – 1894, vielleicht zeitnah mit dem Ableben Gesinas im Juli 1894. Wohl der damals allgemeinen wirtschaftlich eher bescheidenen Lage einerseits geschuldet, als auch andererseits, dass das Blaufärberhandwerk ein „Sommerhandwerk“ darstellte, suchte man nach zusätzlicher Einnahmequelle. Diese wurde von Johann Florack, seinem Sohn Josef und seinem Schwager aus Heek im Bergbau, in der damals aufstrebenden Stadt Essen, in dem nordwestlich vor den Toren des mittelalterlichen Stadtkerns gelegenen Industrie- und Arbeiterviertel Segerodt, (heute unter anderem Universitätsgelände), gefunden. In diesem Viertel, das damals nicht mehr zur eigentlichen Stadt Essen zählte, und der Bürgermeisterei Altenessen unterstand, entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit ein Wildwuchs an Industrie- und einfacher Wohnbebauung. Dies stellte laut Geschichte der Stadt Essen eine totale Überforderung der damaligen Stadt dar.
Am Montag den 13. März des Jahres 1871 kam es nach Schichtende gegen 22.30 Uhr beim Ausfahren auf der Zeche Neu- Essen im Schacht Heinrich- Theodor zu einem Seilfahrtunglück. Durch Bruch der Seilscheibe mit daraus resultierendem Förderseilriss (Hanfseil), stürzte der Förderkorb mit zwölf Männern von „beinahe ganz oben“ in den 140 Lachtern (284 Meter) tiefen Schacht. Drei schwer Verwundete wurden am folgenden Morgen gegen sieben Uhr „zu Tage gefördert“ (wegen schlechter Lichtverhältnisse erst gegen 7 Uhr?) und „den Krankenanstalten zu Essen übergeben“, an „deren Aufkommen“ wurde aber „gezweifelt“ (so die Essener Tageszeitung vom 15. März 1871, Ausgabe 63). Neun der elf Toten des Unglücks sind im Totenbuch der Essener Pfarrei St. Gertrud verzeichnet. Darunter die Namen von Johann Florack, seinem ältesten Sohn Joseph, und Heinrich Schlüter aus Heek, dem Schwager Johanns. Die Verunglückten sind am 17. März auf dem Friedhof vor dem Viehover Tor beigesetzt worden. Durch die explosionsartig anwachsende Einwohnerzahl Essens zur Zeit der beginnenden Industrialisierung war der Friedhof bereits 1877 fast vollständig belegt, und wurde in Folge 1879 aufgelassen. Der Friedhof ist heute überbaut und nichts erinnert mehr an seine Existenz, kein Denkmal an dem Grubenunglück. So wurden diese Bergleute zweimal Opfer der Industrialisierung. Nach dem Tod Johann‘s und seinem ältesten Sohn, wird Johann‘s Frau, Gesina, den Betrieb weitergeführt haben, denn der folgende Sohn, Hermann war mit gerade mal neun Jahren noch zu jung. Das Frauen Blaufärberbetriebe führen, wird eindrucksvoll noch heute bei den wenigen noch bestehenden Betrieben gezeigt, die mittlerweile mehrheitlich von Frauen geleitet werden.
Diese Betriebsweiterführung ist vor allem auch damit zu erklären, dass eine Witwe mit fünf Kindern der jüngsten Tochter die Ausbildung zur Lehrerin ermöglichen konnte. In diesem Zeitrahmen, Anfang der 1880iger Jahre, hat Hermann, mittlerweile um die 20 Jahre alt, nach dem er das Blaufärberhandwerk wahrscheinlich von seiner Mutter gelernt hatte, im Betrieb gearbeitet. Er wird im Alstätter Trauungsbuch 1889 anlässlich seiner Trauung mit Katharina Bredeck als Färber genannt, so auch 1890 und 1892 bei der Geburt der Töchter Maria und Gertrud. Letztmalig ist hier der Eintrag „Färber“ zu lesen. Im Oktober 1894 findet sich die Berufsbezeichnung „Ackerer,“ später auch „Krämer“ sowie „Handelsmann“. Zur Aufgabe des Blaufärberberbetriebes führten vielleicht die sich ändernden politischen Rahmenbedingungen im Kaiserreich. Hauptsächlich war es wohl dem Rückgang der bäuerlichen Handweberei durch das Aufkommen der industriellen Textilbetriebe um Mitte des 19. Jahrhunderts in den umliegenden Städten mit ihren Färbereien geschuldet. Der aufwendige Handblaudruck war der übermächtigen industriellen Konkurrenz nicht gewachsen, und für Blaudruck als Tischdecken, Vorhänge oder Sonderanfertigungen die Zeit um 1900 noch nicht reif, so das als Konsequenz der Betrieb aufgegeben werden musste, und damit auch diese Einmaligkeit dieses heute als Kunsthandwerk bezeichneten Handwerks für immer verloren ging. Die Hochblüte des Blaufärberhandwerks war die Mitte des 19. Jahrhunderts, da aber begann dieser Stern über Alstätte bereits zu sinken. Die größte Konkurrenz dürften wegen der besseren Erreichbarkeit über den sogenannten Kuipersdyk, die Färbereien der Textilbetriebe in Enschede dargestellt haben, da der Weg durch‘s Venn nach Gronau vor allem in der nassen Jahreszeit oft unpassierbar war. Am 13. März des Jahres 1929, auf den Tag genau 58 Jahre nach dem traumatischen Seilfahrtunglück, trug man mit Hermann Florack den letzten Alstätter Blaufärber und auch sein Färbergeheimnis zu Grabe. Nicht zuletzt dank der Kirchenbucheintragungen ist und bleibt das Blaufärberhandwerk in Alstätte untrennbar mit dem Namen Florack verbunden.
Hermann Florack,
Gronau (Fleischermeister)
aus dem Heimatblatt Alstätte Herbst 2014
In diesem Zusammenhang sucht der Autor Hermann Florack zur fotografischen Dokumentation, alte Blaudruckware. Hinweise bitte an den Alstätter Heimatverein.
Quellen:
Kirchenbucheintragungen und Pfarrbüro St. Georg, Bocholt
Kirchenbucheintragungen St. Mariä Himmelfahrt, Alstätte
Kirchenbucheintragungen und Pfarrbüro St. Gertrud, Essen
Kirchenbucheintragungen Hl. Kreuz Heek
Einwohnerliste der Stadt Bocholt d. J. 1830
Einwohnerliste der Stadt Bocholt d. J. 1840
Populationsliste von Alstätte d. J. 1806
Konskriptionsliste von Alstätte d. J. 1807
Handblaudruck im Heimatverein Scheeßel, Niedersachsen
Geschichte der Stadt Essen
A. Trommen, Fördergerüste im Ruhrgebiet, Geschichte der Zeche Neu-Essen
Zeitungsforschungsinstitut Dortmund